Nach mehr als sieben Monaten im Amt als inoffizielles Staatsoberhaupt von Myanmar ist Aung San Suu Kyi mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Eines davon ist das strittige Bauvorhaben des Myitsone-Staudamms, wie Rainer Einzenberger berichtet.
Eine der vielen Großbaustellen, die Aung San Suu Kyi von ihren Vorgängern geerbt hat, liegt im Norden des Landes, am Oberlauf des Irrawaddy-Flusses, im umkämpften Kachin-Staat, unweit der Grenze zum mächtigen Nachbarn China. Seit 2011 liefern sich die Armee Myanmars und die Kachin Independence Army (KIA), die für die Unabhängigkeit des Staates von Myanmar eintritt, nach einem 17 Jahre andauernden Waffenstillstand wieder bewaffnete Kämpfe. Inmitten dieser Konflikte liegt der umstrittene Myitsone-Staudamm, ein Wasserkraft-Projekt der Regierung Myanmars und der staatlichen China Power Investment Corporation (CPI). Mit einer geplanten Kapazität von 3.500 bis 6.000 Megawatt gehört es zu den größten Staudammprojekten der Welt. Die Baukosten werden auf ca. 3,6 Mrd. US-Dollar geschätzt. 90 % des erzeugten Stromes sind für den Export nach China bestimmt. Etwa 15.000 Menschen sind dadurch von Zwangsumsiedlung bedroht.
Damm aus Diktaturzeit. Geplant wurde das Projekt noch unter dem Regime des verhassten General Than Shwe, der das Land von den frühen 1990ern bis 2011 autoritär regiert hatte und mehrere Aufstände der Bevölkerung gewaltsam niederschlagen ließ. Seine Regierung besiegelte das Projekt in geheimen Verhandlungen mit den chinesischen Investoren. Sein Nachfolger, der zivile aber militärnahe Präsident Thein Sein, ließ das Bauprojekt 2011 aufgrund massiven öffentlichen Drucks vorübergehend stoppen.
Aung San Suu Kyi an der Spitze
Bei den Wahlen im November 2015 hatte die Oppositionsführerin mit ihrer Nationalen Liga für Demokratie (NLD) überraschend die Mehrheit im Parlament errungen (siehe SWM 3/2016). Weil sie laut Verfassung nicht Präsidentin werden durfte, setzte sie ihren engen Vertrauten Htin Kyaw als Präsidenten ein. Für sich selbst schuf sie den neuen Posten des „State Counsellor“, ähnlich der Position einer Premierministerin, und übernahm ebenso das Außenministerium.
Dieser Moment gilt heute als Sternstunde für Myanmars neu erwachte Zivilgesellschaft. „Plötzlich hatten wir das Gefühl, dass wir uns bei der Regierung Gehör verschaffen können“, sagt der Umweltaktivist Myint Zaw, der für sein Engagement im Jahr 2015 in den USA mit dem Goldman Award ausgezeichnet wurde. Begonnen hatte die landesweite Kampagne gegen den Staudamm zunächst mit Protesten der lokalen Bevölkerung gegen die Zwangsumsiedlungen. Viele Menschen wurden vom Regime bedroht und verhaftet. Nach und nach weiteten sich die Proteste in eine nationale Kampagne aus. Den Grund für den Erfolg der Protestbewegung sieht Myint Zaw unter anderem auch im breiten Netzwerk von unterschiedlichen AkteurInnen und dem gemeinsamen Interesse: „In diesem Land kann sich jeder mit dem Irrawaddy identifizieren, die ethnischen Gruppen am Oberlauf und auch die birmanische Mehrheit am Unterlauf.“
Entscheidung gefragt. Nun liegt es in der Hand Aung San Suu Kyis als inoffizielles Staatsoberhaupt, über das endgültige Schicksal des Megaprojektes zu entscheiden. Sie muss eine Einigung mit China finden, ohne die eigene Bevölkerung vor den Kopf zu stoßen. Obwohl sich Aung San Su Kyi als Oppositionsführerin in der Vergangenheit öffentlich gegen den Staudamm ausgesprochen hatte, scheint das Ergebnis dennoch ungewiss. Myint Zaw und seine MitstreiterInnen hören nicht auf, auf das Bauprojekt aufmerksam zu machen. Im vergangenen Oktober veranstalteten sie weitere öffentliche Konferenzen und Ausstellungen in Myanmars Metropole Yangon, um das ungelöste Problem in Erinnerung zu rufen. Wieder wurde über die Folgen von Großstaudämmen diskutiert und die Notwendigkeit unterstrichen, soziale und ökologische Gerechtigkeit vor Profitinteressen zu stellen. Die Vorträge wurden ergänzt durch Musik, künstlerische Darstellungen und Photographien des Irrawaddy. Zeichnungen von Kindern aus der betroffenen Region dokumentierten auf drastische Weise ihre persönlichen Erfahrungen während der Zwangsumsiedelungen.
Hoffen auf Ablehnung. Das Datum für die Veranstaltungen war nicht zufällig gewählt. Eine von der NLD-Regierung (siehe Kasten) eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission sollte bis Mitte November 2016 einen Bericht mit Vorschlägen zur Lösung des Staudamm-Dilemmas präsentieren. Für Myint Zaw ist eine Fortsetzung des Baus zwar unwahrscheinlich, aber nicht gänzlich ausgeschlossen. „In letzter Zeit haben weder die NLD noch chinesische Akteure öffentlich über eine Fortsetzung des Baus gesprochen.“ Erste durchgesickerte Stellungnahmen von Kommissionsmitgliedern deuten in Richtung Ablehnung.
Sowohl für Aung San Suu Kyi als auch für China steht langfristig viel auf dem Spiel. Besteht China gegen den Willen der Bevölkerung Myanmars auf dem Bau des Kraftwerks, könnte es damit seine langfristigen politischen und wirtschaftlichen Interessen in Myanmar und seinen strategischen Zugang zum Indischen Ozean gefährden. Suu Kyi ihrerseits kann angesichts innenpolitischer Überlegungen dem Druck Chinas nicht einfach nachgeben, ohne ihrem Ansehen zu schaden und den Friedensprozess zu untergraben. Myint Zaw sieht im besten Fall ein „Abkommen, bei dem beide Seiten das Gesicht wahren können“. Das würde wahrscheinlich eine schrittweise Kompensationszahlung an China für bereits getätigte Investitionen beinhalten. Als problematisch betrachtet er eine mögliche Verlagerung des Damms etwa an den Salween-Fluss im Osten des Landes, der sich ebenso in umkämpften Gebieten ethnischer Minderheiten befindet: „Das würde das Problem nicht lösen, sondern nur verlagern.“ Der Umweltaktivist sieht die Zukunft in einer dezentralen, regionalen und nachhaltigen Energieversorgung, die das jeweilige regionale Potenzial optimal nutzt. Nur einen passenden Plan dafür gibt es noch nicht.
Rainer Einzenberger ist seit 2015 Assistent am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien und arbeitet seit 2009 schwerpunktmäßig zu Myanmar.
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